Ehemaliger Kindergarten

Kindheit in Haimhausen: Der ehemalige Kindergarten

Die ersten Kindergärten
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert entstanden in Europa, so auch in Deutschland, für arbeitende Mütter zunehmend dringend benötigte Kindertageseinrichtungen.Eine erste bekannte solcher „Kinderbewahranstalten“ gründete eine enge Vertraute des Komponisten Ludwig van Beethoven, Gräfin Therese Brunsvik de Korompa [Schreibweise auch: Therese von Brunswick] (1775-1861) in Ungarn. Ihr widmete Beethoven seine Sonate op. 78. Am 1. Juni 1828 eröffnete sie in Buda ihre Kleinkinderschule (Kleinkinderbewahranstalt), eine von 11 weiteren Kindergartengründungen der Gräfin. Betreuer des „Engelsgarten“ genannten Kindergartens war ein Lehrer.2 
In Bayern entstanden die ersten Einrichtungen ab 1831, zuerst in Nürnberg, danach in kurzer Folge in weiteren bayerischen Großstädten. Bayern schuf 8 Jahre später als erstes Land gesetzliche Regelungen für die Errichtung und Beaufsichtigung der Kleinkinderbewahranstalten, die 70 Jahre unverändert blieben und erst 1910 notdürftig an die veränderten Verhältnisse angepasst wurden. Es kam nun die Gesundheitserziehung hinzu und die Raum- und Gruppengröße wurde geregelt.3 Die Kleinkinderbewahranstalten wurden im 19. Jahrhundert von Schulvereinen oder Stiftungen von Kirchen oder wohltätigen Bürgern ins Leben gerufen – so wie die Stiftung in Haimhausen.

Das Gebäude und seine Besitzer
Das Gebäude mit der alten Hausnummer 24 wurde 1877 als Altersruhesitz von dem ehemaligen Besitzer der Krämerei (heutige Hauptstr. 24) Josef Pettenrieder auf einem zur Krämerei gehörenden Grundstück errichtet. Es besaß einen Stall, einen Hof und einen Garten. Nach Pentenrieders Tod wechselte der Besitz noch dreimal seine Besitzer. Von 1901 bis 1906 bewohnte ihn Dr. Ferdinand Reiser, bevor er von der Schlossherrin Henriette Haniel von Haimhausen 1906 erworben und 1907 zu einer „Kinderbewahranstalt“ umgebaut wurde. Der Kindergarten blieb von 1907 bis 1964 in der Dorfstraße. Eine „Sondernutzung“ erfuhr das Haus vor der Jahrtausendwende: Ab 1980 befand sich im Erdgeschoss über 20 Jahre ein Waschsalon mit Mangelstube, bevor das Haus zu einem reinen Wohngebäude umfunktioniert wurde.4

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Eine Schrifttafel an der Außenmauer der linken Haushälfte erinnert an die Gründerin des Kindergartens:
Stiftung der Gräfin Henriette Monts-Haniel

Henriette Haniel von Haimhausen, seit 1904 Witwe des Eduard James, der 1892 das Schloss Haimhausen gekauft hatte, heiratete 1908 in zweiter Ehe Anton Graf Monts. Seitdem wurde sie Gräfin Henriette Monts-Haniel genannt. 

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Die Geschichte des ehemaligen Kindergartens
Die Schlossherrin verfolgte große Pläne mit dem neuerworbenen Gebäude. Sie ließ es 1906 im Inneren umbauen, so dass es als Haus „zum Wohle der Kinder“ genutzt werden konnte.
Henriette Haniel von Haimhausen dachte dabei in erster Linie an Kinder von Arbeiterfamilien, die in den Haniel’schen Schloss-, Brauerei- und Gutsbetrieben beschäftigt waren. Die Schlossherrin hatte erkannt, welche Belastung es für ihre Arbeiterinnen im Gut und das weibliche Schlosspersonal bedeutete, der Mutterrolle bei ganztägiger Arbeit außerhalb des familiären Umfelds gerecht zu werden. Die neue Einrichtung sollte aber auch für Haimhauser Kinder offen sein, deren Eltern nicht in den Haniel’schen Betrieben beschäftigt waren.
Mit der Betreuung betraute die Schlossherrin, obwohl selbst protestantisch, katholische Ordensschwestern. Am 25. April 1907 wurde zwischen dem Mutterhaus der Franziskanerinnen in Dillingen und der „Gnädigen Frau Henriette von Haniel-Haimhausen“ ein Vertrag geschlossen, der als „Manuskript der Geschichtlichen Sammlung der Schwestern des Haimhauser Kindergartens“ erhalten ist5. Darin ist festgelegt, dass die Schwestern eine „Abteilung von Kleinkindern, Krippe [mit] Säuglingsstation, einen Kindergarten und Hort“ leiten sollten. Frau von Haniel würde „für den stetigen Unterhalt des Ganzen sowie für Holz und Licht mit eigenem Vermögen“ aufkommen. Jede Schwester erhielt ein jährliches Honorar von 400 Mark, die Kandidatin 300 Mark. Auch für die Zimmereinrichtung der drei Schwestern, die im Haus wohnten, kam die Gräfin auf. Für Fahrten ins Mutterhaus in Dillingen stand ein Schlossfuhrwerk zur Bahn nach Lohhof bzw. für die Rückfahrt nach Haimhausen zur Verfügung.
Am 7. September 1907 zogen die drei Dillinger Schwestern Maria Heliodora, Maria Ansfrieda und Maria Eranista in das Haus Haimhausen Nr. 24 ein. Offensichtlich betreuten sie die Haimhauser Kinder sehr erfolgreich, was sich an den nachfolgenden Zahlen der Anfangsjahre widerspiegelte. So berichtete der Haimhauser Pfarrer Vordermayer, der von 1903-1912 den Ort seelsorgerisch betreute, dem Ordinariat München-Freising, dass die Krippe täglich von 10-12 Kindern, die Kinderbewahranstalt von 30-35 und der Hort von 30-40 Buben und Mädchen besucht wurde.6
1908 veranlasste Gräfin Henriette, dass man im Kindergarten-Gebäude eine kleine Hauskapelle eingerichtete. Von den Schwestern wurde die Gräfin liebevoll als „Wohltäterin“ bezeichnet.7 1913 starb Frau Henriette, die nach einem Reitunfall die letzten Jahre ihres Lebens querschnittgelähmt war. Ihr Mann Anton Graf Monts führte als Pächter der Haniel-Besitzungen die Kindergarten-Stiftung im Sinn seiner verstorbenen Frau bis 1926 weiter.

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Dann übernahm der Neffe Henriettes, Dr. Edgar Haniel von Haimhausen seinen ererbten Besitz. Auch er, sowie nach seinem Tod 1935 die Freundin des Hauses Haniel, Dora Rochoussen, unterstützten weiterhin die Arbeit der Dillinger Schwestern. Über die aus England stammende Dame, die als Hauslehrerin und Gouvernante bei den beiden Kindern Brigitte und Günter aus der ersten Ehe des Edgar Haniel tätig war, schrieben die Schwestern: „Jeden Samstag besuchte sie die Schwestern, erkundigte sich, was im Haus zu richten sei in der kommenden Woche. Brachte jeden Samstag persönlich den Sonntagsbraten… In Haimhausen wird sie in ewiger Erinnerung bleiben.“8 Frau Rochoussen starb 1936.

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Nach dem Tod seines Vaters Edgar übernahm Günter Haniel Schloss und Gut sowie die Fürsorge für den Kindergarten. Allerdings hatte sich die Zeit nach der Machübernahme der Nationalsozialisten geändert. Klöster wurden, wie die Schwestern es formulieren, unterdrückt. 1939 sei Günter Haniel von der Partei derart bedrängt und bedroht worden, dass er den Schwestern zum 30. Juni 1940 (der Termin wurde um ein halbes Jahr verlängert) kündigte. Nun übernahm die NSV (nationalsozialistische Volksfürsorge) die Regie und setzte weltliche Kindergärtnerinnen ein.
Die Dillinger Schwestern mussten das Haus Nr. 24 verlassen. „Wir bemühten uns jetzt endlich um eine Wohnung… Wir haben an viele Türen geklopft, aber vergebens. Die meisten Wohnungsinhaber waren Parteimitglieder und hatten große Furcht vor dem Naziregiment. Ein Teil der Leute aber war sehr gut zu uns und sie baten innig, wir sollten in der Gemeinde bleiben. Am 20. Sept. 1940 abends 8 Uhr kam unser evangelischer Nachbar, der Kaufmann Heinrich Baumann und bot uns eine Wohnung bei ihm an…“9- Wenngleich nicht mehr bei den Kleinen eingesetzt, so „durften“ die Schwestern während des Krieges den Handarbeitsunterricht in der letzten Volksschulklasse in Haimhausen und Fahrenzhausen übernehmen. Kirchlicherseits waren sie für den Chor und für Mesnerdienste zuständig.
Unmittelbar nach Kriegsende besuchte Irmgard Haniel von Haimhausen, damalige Ehefrau von Günter, die Schwestern und bat sie, sich des Kindergartens wieder „zu erbarmen“. Das Haus war zwischen Mai und September 1945 von 50-60 Flüchtlingen und Vertriebenen belegt. Nachdem diese in anderen Quartieren untergekommen waren, wurde das Haus renoviert. „Es gab keine Baumaterialien, kein Holz, keine Farbe, keinen Zement usw. Wäsche für Kinderbettchen spendeten die Leute…“10 Ab September 1945 konnten die Franziskanerinnen wieder „ihr“ Haus Nr. 24 übernehmen. 
Erneute Sorgen bereiteten den Schwestern die Ankündigung des Schlossherrn, nach der Währungsreform 1949 nicht mehr für die Lasten des Kindergartens aufzukommen. Das Haus sollte verkauft werden. Schließlich einigten sich der damalige Haimhauser Bürgermeister Michael Schober und der damalige Direktor Jandl vom Caritasverband in München mit Günter Haniel von Haimhausen dahingehend, dass das Mutterhaus der Franziskanerinnen das Haus mietete. Die Gemeinde übernahm einen monatlichen Zuschuss und bestritt sämtliche Reparaturen. 

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In der Nachkriegszeit und den fünfziger Jahren wuchs die Gemeinde kontinuierlich – und auch die Zahl der Kinder. Zählte Haimhausen 1045 Einwohner vor dem Krieg 1939, so stieg die Zahl im Jahr 1955 auf 184311. Das Haus Nr. 24 erwies sich als zu klein. Herr von Haniel plante einen Anbau. An den Kosten wollten sich jedoch weder das Mutterhaus noch die Caritas beteiligen. Caritasdirektor Jandl verfolgte nun einen anderen Plan: Das Pfarrhaus an der Pfarrstraße 4 verfügte über einen großen Obstgarten. In ihm gäbe es doch genügend Platz für einen Kindergarten-Neubau. Dieser wurde tatsächlich 1964 gebaut. Die Ära des Kindergartens in der Dorfstraße 1 war zu Ende.

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Unterste Reihe von re: Haupt Hans, Metzinger Ilse, Martin Marion, Westermaier Georg, Reischl Hubert, Krusche Kurt, Krusche Monika, Krimmer Brigitte, Raidt Rudi, Hannak Elfriede, ?
2. Reihe von re: Remlinger Erwin, Kössling Otto, Kiss Hans, ?, Westermaier Rosi, Kracklauer Gitti, Drexler Hildegard, Raith Elisabeth, Günther Gabi, Ganter Christl
3. Reihe von re:Dinkl Annemarie, Mayer Erna, Gerer Gerda, Metzinger Gisela, Bögl Leni, ?, Schwarz Annemarie, Bölkow Herbert
4. Reihe von re: Mörl Emil, Martin Hans, Venske Irene, Satke Erich, Heigl Martin, ?
 
Oberste Reihe von re: Breuer Helmut, Hübner Hermine, Dinkl Irmi, Kweatkowski Renate, Kösling Otto

Abschließend seien noch jene zwei Schwestern erwähnt, die durch ihr jahrzehntelanges Wirken in Kindergarten und Hort sowohl mit dem Bundesverdienstkreuz als auch mit der gemeindl. Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet wurden: 
Schwester Hadumada : Leitung des Horts (13-17 Uhr), tätig von 1919 bis 1974
Schwester Zephyrina: Handarbeitslehrerin, tätig von 1935 bis 1975.
Als weitere Franziskanerin erhielt Schwester Walgildis 2004 die Ehrenbürgerwürde Haimhausens für ihr jahrzehntelanges Wirken im Kindergarten.

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1 Diana Franke-Meyer, Geschichte der frühkindlichen Bildung in DeutschlandGeschichte der frühkindlichen Bildung in Deutschland | Bildung | bpb.de
2 Therese Brunsvik – Wikipedia
3 Geschichte des Kindergartens in Bayern. Von der Bewahranstalt zur modernen Bildungseinrichtung, Hrsg. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, München 2006, S. 9
4 Markus Bogner, Haus- und Hofchronik von Haimhausen, Ottershausen. Inhausen, Inhausen-Moos, Maisteig, Amperpettenbach, Oberndorf, Westerndorf und Hörgenbach 1954 bis 1955, unveröffentlicht 1999/2006
5 Manuskript der Geschichtlichen Sammlung der Schwestern des Haimhauser Kindergartens, (undatiert), Ortsarchiv Haimhausen
6 Kindergarten Haimhausen siebzig Jahre alt, in: Süddeutsche Zeitung/Dachauer Neueste vom 12.08.1977
7-10 wie Anm. 5
11 Markus Bogner, Chronik von Haimhausen, Haimhausen 2003, S. 88

Erinnerungen an die Kindergartenzeit in der Dorfstraße

 Anni Krimmer (geb. 1926):
„Ich war von 1929-1932 im Kindergarten. Er war von 8 Uhr in der Früh bis 5 Uhr am Nachmittag. Der Kindergarten ist gebaut worden für die Kinder von Frauen, die im Gut gearbeitet haben. Aber auch andere Kinder konnten in den Kindergarten gehen. Die Schwestern haben dort auch gewohnt. Sie sind jeden Tag in die Kirche gegangen, und anschließend begann sofort die Arbeit im Kindergarten. Eine besondere Stimmung war immer an Weihnachten. Jedes Jahr kamen Herr von Haniel und seine Frau* zur Weihnachtsfeier. Zuerst warteten wir im Gang und sangen: "Still, still, still, die Augen aufgemacht. Der goldene Schein, es ist ja heut die Hl. Nacht. Horch, horch, horch, wer klopfet an, wer will herein? Das Christkindlein. Es ist ja heut‘ die Hl. Nacht." Dann durften wir den Raum betreten. Wir gaben Exzellenz die Hand und machten einen Knicks. Dann bekam jedes Kind ein Päckchen. Das haben die Schwestern im Auftrag des Schlossherrn eingekauft. Wir sagten im Chor: Wir danken für das schöne und reiche Christkind und laden Exzellenz zum Theater ein. – Wir hatten ein Theaterstück einstudiert.“

*Dr. Edgar Haniel von Haimhausen und seine zweite Ehefrau Hedwig von Branca

 Berta Wärmann (geb. 1937):
„An Weihnachten ist immer ein Theaterspiel aufgeführt worden, unter der Regie von den Schwestern. Da hat der Hubert ein Verserl aufgesagt. Da war er vielleicht drei Jahre. Und da hat er ein Schwammerl gemacht. Ich kann es noch auswendig: Das schönste Schwammerl in dem Wald bin ich, der Fliegenpilz genannt. Man sagt ja, dass ich giftig bin, das ist schon wahr, doch hat es Sinn, denn wenn ich auch nicht giftig wär, dann kämen alle zu mir her und schnitten mich, mich armen Wicht, und so was überlebt man nicht. Dazu die Dachauer Nachrichten, 05./06. Jan. 1953: Der Kindergarten brachte als Weihnachtsüberraschung verschiedene Theaterstücke, so Der Puppendoktor, Der Schneemann, Sonnenschein, Fliegenpilz und einen Krippenreigen. Die Darsteller waren 3-6 Jahre alt. Die Hortkinder zeigten Herbergssuche, Verkehrsunfall und Der Schwarze Peter. Diese Spiele der Kinder haben eine 30-jährige Tradition und freuen sich bei der Bevölkerung stets großer Beliebtheit.

 Stefan Weingärtner (geb. 1944):
„Mindestens ein Jahr, 1949, war ich im Kindergarten. Wir wurden von Schwestern betreut. Im Kindergarten gab es 1948/49 Lebertran. ‚Antreten zum Lebertran‘. Er schmeckte fürchterlich.“

 Ursula Bergmann (geb. 1920):
„Es gab den Kindergarten in der Dorfstraße. Meine kleine Tochter Susanne durfte gelegentlich einen Tag im Kindergarten verbringen, wenn ich z.B. nach München fuhr. Das Haus war eine Stiftung. Der Kindergarten wurde von Schwestern geleitet; eine gab Nähunterricht, die andere Musikunterricht, die dritte Schwester führte den Kindergarten.“

 Therese Schmid (geb. 1930):
„Da sind Klosterschwestern in Haimhausen gewesen. Da habe ich die Kinder schon um 7 Uhr abgegeben. – Im Kindergarten hat man das Essen und die Wäsche mitschicken müssen. Das habe ich in der Früh hergerichtet. Die Klosterschwester, die die Säuglinge gehabt hat, hat immer 12-13 Säuglinge gehabt. Es hat kleine Stühle gegeben, da sind die Kleinen im Kreis gesessen, und dann hat die Schwester alle gefüttert… Wenn es im Frühjahr schon ein bisschen warm war, sind sie zu einer Hütte droben (hinter dem Haus) gegangen. Die Hütte war auf einer Seite offen. Da waren Betterl drinnen, und da haben die Kleinen Mittagsschlaf gehalten. Das war wie so ein Freiluftstall…“